Bericht: Wandern in der polnischen Hohen Tatra

Irgendwann krachte dieser gigantische rechteckige Felsen von oben herunter auf die Erde. Ein paar hundert Kilometer lang, über 1.000 Meter hoch und auch ziemlich breit. So ungefähr auf der Grenze zwischen der Slowakei und Polen lag er dann und die Jahre zogen vorüber. Immer wieder brach mal ein Stück aus dem Felsen ab, zerbrach mit lautem Getöse auf dem Weg nach unten und so entstanden scharfzackige Spitzen oben und unten lagen immer mehr kleine Felsen. Klein ist relativ, manche waren trotzdem noch über 50 Meter hoch, aber andere wirkten dagegen fast wie Scherben. Es muss schon viele Jahrhunderte her sein, als sich dann ein selbst für Riesen-Verhältnisse hochgewachsener Bergbewohner ein Herz fasste und sich dachte: Hier müsste einmal aufgeräumt werden. Damit er oben aufräumen konnte, legte er die scherbenartigen Felsstückchen in Treppenform aufeinander und als er dann diese neu errichteten Treppen nach oben gestiegen war, wischte er oben die Felsen fein säuberlich glatt. Das Ergebnis ist die Tatra bei Zakopane – aus Sicht des Wanderers. Und das, so viel sei gesagt, ist klasse so!

Hohes Gebirge und viele Höhenmeter

Hohe Tatra im Herbst, Blick auf die Gipfel. Foto: Polen.pl (JW)

Wandern in der Hohen Tatra ist kein Mittelgebirgsspaziergang. Deswegen kommt der sinnierende Wanderer auch schnell zum Schluss, dass diese Gebirgsformation einmal ungefähr so wie beschrieben entstanden sein muss. Aber im Ernst: Natürlich gab es weder den von oben fallenden großen Felsblock noch den reinlichen Riesen. Die treppenartigen, manchmal für Riesen gemachten, Treppen aus purem Fels und die herrlich scharfkantig sauberen Gipfel, die gibt es wirklich. Und wer hier wandert, sollte sich ordentlich ausstatten: Gute Schuhe, vielleicht Wanderstöcke, auf jeden Fall gute und warme Kleidung. Und etwas zu Essen und zu Trinken sowie Wetterberichtslektüre. Die Wanderwege auf den an jedem Straßenstand und in jedem Büchergeschäft erhältlichen Karten wirken auf Papier reichlich harmlos: Grüne, rote, blaue und schwarze Linien, die sich in relativ dichtem Netz durcheinander schlängeln. Doch die meisten sind keine Spazier-, sondern echte Wanderwege. Und wer schlau ist, schaut nicht nur auf die angegebenen Zeitangaben für die Wegstrecken, sondern vor allem auf die Höhenmeter. Selbst auf scheinbar kleinen Abschnitten kann es schon mal richtig hoch und runter gehen. Die Zeitangaben übrigens sind bei vielen Karten auf zügige Wanderer zugeschnitten, Pausen, Nachdenken, Wege suchen und gar Trödeln sind niemals beinhaltet. Zum Glück muss man dank der guten Beschilderung fast nie den Weg suchen. Nachdenken, Pausieren bei herrlichen Panoramen und Trödeln möchte man manchmal nur allzu gern.

Frühjahr, Sommer und Herbst

Wir waren Anfang Oktober in der Hohen Tatra, was durchaus schon als riskant gelten kann: Oft zeigt sich der Herbst in dieser Zeit noch einmal golden, das muss aber nicht sein. Wir hatten Glück. Sicherer ist der September, auch Frühjahr und Sommer sind natürlich gut geeignet. Was aber zu sagen bleibt: Besonders der Sommer ist auch die Jahreszeit, die Besucherschwemmen auf die Felstreppen treibt und dort gelegentlich für Staus sorgt. Ja: Staus auf Wanderwegen. Aber die sind selten und nur auf den parkplatznahen Wanderwegen zu finden.

Gut schlafen und flexibel bleiben

Oscypek-Verkaufsstand in Zakopane. Foto: Polen.pl (JW)

Unterkünfte gibt es in fast so grosser Zahl wie Gaststätten: Gefühlt jedes Haus beherbergt mindestens eine Karczma, so heißen die urigen Gastwirtschaften der Bergbewohner. Wenn nicht, dann wenigstens ein Restaurant, eine Bar, ein Bistro, eine Bacowka (eine Schäferhütte, die oft auch bewirtschaftet ist) oder eine Pension, ein Gästehaus oder ein Hotel. Schlechtes Essen gibt es nicht, sieht man mal von gelegentlichen Fast-Food-Sünden ab, Aber selbst diese tragen oft Namen, die den Bergbewohnern, den Goralen, Tribut zollen. Trotzdem: Auch Goralen-Burger und Goralen-Pizza sind keine echte Alternative zum traumhaften warmen geräucherten Schafskäse der Region (Oscypek, am besten mit Zwiebeln und/oder Preiselbeeren), den man auch kalt essen kann. Kalt für zwischendurch, warm als Vorspeise zu einem Hauptgericht, dass oft deftig und mit Fleisch daherkommt, wenn auch nicht immer. So findet man mit den Gulaschgerichten, den Kotelettrezepten und den deftigen Würstchen die Nahrungsmittelvertreter für die Fleischfreunde, wohingegen leckere Suppen wie Zurek, Teig-Pilzgerichte wie Placki und natürlich die nach einem langen Wandertag traumhaft nahrhaften Pierogi (Piroggen) auch die weniger Fleischinteressierten glückliche Mienen auf die Gesichter zaubern.

Zentral übernachtet man in Zakopane, wo man auch flexibel bleibt: Der örtliche Nahverkehr mit staatlichen und privaten Bussen ist gut ausgebaut, man kommt in alle Wanderregionen und kehrt auch perfekt zurück. Der Nachteil: Die trubelige Fußgängerzone ist manchem im Urlaub ein wenig zu urban. Dann bietet sich einer der schönen und ruhigeren Vororte an, zum Beispiel Bukowina Tatrzanska. Dort wohnten wir und waren glücklich. Einzigartige Panoramen – mit Glück schon vom Hotelbalkon aus – und viel Ruhe sowie Herzlichkeit in den Karczmas machen den Aufenthalt mehr als erholsam. Wer nicht selbst ein Auto mitbringt, ist allerdings auf die Minibusse angewiesen. Die fahren oft, aber eben nicht ganz so oft wie aus Zakopane. Man kann morgens ab sechs bis abends um zehn Uhr gut zwischen Zakopane und den Vororten hin und her pendeln, sollte sich aber die Zeiten von den Busfahrplänen aufschreiben. Aber: Man sollte sich auch nicht zu sehr auf diese Zeiten verlassen; manche – besonders private – Kleinbusbetreiber warten, bis ihr Bus voll ist. Und fahren dann erst los. Das ist wirtschaftlich für den Kleinbusfahrer, aber manchmal ärgerlich für den im Vorort auf den Bus wartenden. Da jedoch auch Taxen bezahlbar sind, gibt es immer noch mindestens eine Alternative, das Ziel zu erreichen. Auch wenn Minibusse mit den Gebühren zwischen einem und zwei Euro pro Fahrt eine günstige Alternative sind. Sicher sind sie sowieso: Die Fahrer kennen ihre Strecke im Schlaf und wie stolz sie auf ihr Fahrzeug sind, erkennt man daran, dass sie es regelmäßig vor der Bergkulisse fotografieren und damit werben. Sei es auch noch so alt.

Wandertipps

Morskie Oko. Foto: Polen.pl (JW)

Ein sanfter Einstieg ist unbedingt anzuraten. Und ein solcher könnte etwa die Wanderung von Kiry aus sein. Kiry ist ein kleiner Ort nahe Zakopane, der in einer knappen halben Stunde per Minibus für wenig Geld (umgerechnet etwa einen Euro) zu erreichen ist. Von dort aus führt ein breiter und flacher Weg leicht aufwärts und führt zu mehreren Felshöhlen, die besichtigt werden können. Oder man startet mit der ‘Wanderautobahn’ zum berühmten ‘Meeresauge’, dem Morskie Oko. Der See hat der Legende nach eine Verbindung zum Mittelmeer. Blödsinn? Vermutlich ist ebenso wenig dran an der Legende wie an unserer Idee mit dem treppenbauenden Riesen der Einleitung. Aber spätestens, wenn man am Ufer des Morskie Oko steht, versteht man den Hintergrund der Legende: Der türkisfarbene – traumhaft romantische – See könnte auch mit dem Wasser einer paradiesischen Bucht gefüllt sein. Wenn da nicht die zahlreichen Sonntagswanderer wären, wäre hier wohl das Paradies: Wir empfehlen den frühen Wanderbeginn an einem Werktag, um dieses beliebte Wanderziel zu besuchen. Was lohnt sich noch? Die Routen, die nicht auf dem Höhenweg entlanglaufen, sehen erst einmal weniger spannend aus. Was einerseits richtig ist: Der Höhenweg entlang der Gipfel bietet eine einzigartige Aussicht. Doch die Strecke ist an manchen Stellen herausfordernd, einerseits. Andererseits eben auch kein echter Geheimtipp. Denn zum Beispiel die wenig bekannte Route (grün gekennzeichnet) vom ‘Wanderautobahn-Start-Parkplatz’ bis nach Zakopane bietet einzigartige Naturerlebnisse mit unzähligen Wasserfällen, noch zahlreicheren Treppenstufen auf- und abwärts und ebenfalls herrlichen Ausblicken. Sie bietet aber auch eine Schweißgarantie, wenn man einen zügigen Schritt anstrebt. Definitiv ist: Es lohnt sich, auch wenn hier nicht jeder läuft.

Die Alpen-Alternative?

Wer gern wandert und neue Pfade entdecken möchte, hat sie hier gefunden: Die Alpen-Alternative. Hüttenwandern ist auch möglich, allerdings gibt es nicht ganz so viele Hütten. Daher empfiehlt es sich, sich einen festen Standort zu suchen und von dort aus loszuwandern. An mit schlechtem Wetter ausgestatteten Tagen bieten die vielen Thermen (zum Beispiel in Bukowina Tatrzanska, Bialka Tatrzanska und andere) eine gute Wellness-Ausweichmöglichkeit. Gute Hotels haben Schwimmbäder gleich inhouse. Lohnenswert auch: Die kleinen Pensionen oder die appartmenthaften alten Holzhäuser im ‘Zakopane-Stil’, für den es sogar ein Museum gibt. Klar ist: Auch wenn man nicht wandert, wird es hier nicht langweilig. Wir waren begeistert.

Deutschsprachige Reiseführer für die Hohe Tatra sind rar, Tipp sind aber zum Beispiel der Rother-Wanderführer für die Hohe Tatra (Link zu Amazon), die vor Ort käuflichen Wanderkarten (20-60 Zloty, 5-15 Euro), für die Slowakei der Slowakei-Reiseführer des Trescher-Verlags (Link zu Amazon), die Wanderkarte Hohe Tatra (mit Skitouren) (Link zu Amazon) und auch der lesenswerte Zakopane-Teil des Reiseführers Krakau aus dem Michael Müller Verlag (Link zum Verlag).

Ein Hoteltipp für Menschen, die sich nicht an ein paar Metern zu Fuß zum Bus stören oder ein Auto dabei haben: Das komfortable, preislich attraktive und mit einer schönen Aussicht ausgestattete 3-Sterne-Haus mit dem zweifelhaften Namen Räuberlager (‘Zbójnicówka’) ist als Ausgangspunkt für einen ruhigen Tatra-Urlaub über jeden Zweifel erhaben. Hotel Zbójnicówka bei Booking.com.