16. Neiße Filmfestival im Dreiländereck

Seit 16 Jahren findet im Mai im deutsch-polnisch-tschechischen Dreiländereck das Neiße Filmfestival statt (pl. Nyski Festiwal Filmowy, tsch. Nisa Film Festival). Auch in diesem Jahr hatten vom 07. bis zum 12. Mai junge Filmemacher die Chance, die Früchte ihrer Arbeit auf der Leinwand zu präsentieren. Dieses Jahr lohnte es sich um etwas zu kämpfen, weil die Preisgelder auf insgesamt 19.000 Euro erhöht wurden. Rund um die Neiße konnte das anspruchsvolle Publikum die Filme bewundern und nach den Vorführungen die Regisseure kennenlernen, ihnen Fragen zu den Filmen stellen sowie gemeinsam Gedanken austauschen. In 20 Spielstätten auf deutscher, polnischer und tschechischer Seite wurden die Filme aufgeführt. In Deutschland waren das Bautzen, Görlitz, Großhennersdorf, Löbau, Mittelherwigsdorf und Zittau; in Polen Sieniawka und Zgorzelec und in Tschechien Liberec, Hrádek nad Nisou, Rumburk und Varnsdorf. All diese Spielstätten stehen für außergewöhnliches, anderes Kino, welches nicht immer dem Mainstream entspricht. Dies gilt für die Programme, wie auch für die Örtlichkeiten, die oft einem Independent-Kino entsprechen. Die Zuschauer konnten nicht nur das riesige Spektrum an Filmen sehen, sondern auch Spaß bei Ausstellungen, Konzerten, Lesungen, Partys und Open-Air-Kinoveranstaltungen haben, die von den Kooperationsstädten organisiert wurden. Die Filme wurden in den jeweiligen drei Originalsprachen gezeigt. Außerdem wurden sie in den jeweiligen anderssprachigen Ländern untertitelt oder während der Vorstellung durch eine Lektorin oder Lektor in die jeweilige Landessprache übersetzt. Dafür erhielt jeder Kinobesucher ein Empfangsgerät samt Kopfhörer. Es war möglich, sich zwischen den Spielstätten in den unterschiedlichen Städten mit ausgewählten Shuttle-Services zu bewegen. Der Veranstalter des Festivals ist immer das Kunstbauerkino in Großhennersdorf.

Veranstalter: Kunstbauerkino e.V. in Großhennersdorf © Aleksandra Krause

Themen und Motive der Filme

Es gibt keinen Zweifel daran, dass die Thematik eines jeden Films außergewöhnlich, besonders und kontrovers sein musste. So waren auch dieses Jahr wieder aktuelle und spannende Themen präsent. Dazu gehörten unter anderem der Generationenkonflikt, Politik, Sport, Doping, Krankheiten, Abhängigkeit, Homosexualität, Frauenemanzipation und Kirche.

Der Gewinner in der Kategorie „Dokumentarfilm“ wurde der polnische Film „Miłość bezwarunkowa“ (dt. Bedingungslose Liebe, 2018) von Rafał Łysak. Der Regisseur hat bei der Preisverleihung verraten, dass seine Oma die Hauptrolle gespielt hat. Der Film handelt von Homosexualität und dem Zusammenstoß zweier Pole — einerseits einer konservativen, traditionellen Weltanschauung und andererseits der Homosexualität, dem Anderssein. Ob die beiden die enormen Hürden bewältigen und sich verstehen und akzeptieren werden?

„Fuga“ (dt. Flucht, 2018) ist der nächste polnische Film, der sogar zwei Preise in den Kategorien „Besten Szenenbild“ und „Bestes Drehbuch“ ergattert hat. Die Drehbuchautorin Gabriela Muskała, gleichzeitig auch Hauptdarstellerin, verkörpert die verlorene Alicja, die sich nicht erinnern kann oder will, wer sie ist und wer sie war. Ob sie nach dem Auftauchen ihrer Familie die Erinnerung wiedererlangt, wird an dieser Stelle nicht verraten. Der Film ist sehr sehenswert.

An dieser Stelle sollte man nicht vergessen, den polnischen Film „Córka trenera“ (dt. Die Tochter des Trainers, 2018) zu erwähnen. Der anwesende Regisseur Łukasz Grzegorzek enthüllte das Geheimnis, warum gerade Tennis das Hauptmotiv seines Werkes ist. Er wurde nämlich, wie auch die Heldin in seinem Film, von seinem Vater trainiert, hatte auch am Ende genug davon und damit aufgehört. Sehenswert in diesem Film ist die charakterliche Veränderung des bekannten polnischen Schauspielers Jacek Barciak, der auch von der Jury mit dem Preis für die „Beste darstellerische Leistung“ honoriert wurde. Es ist ebenfalls bewundernswert, wie in so kurzer Zeit­ (ein halbes Jahr) der Körper derart athletisch trainiert werden kann. Ebenfalls ist die weibliche Hauptrolle, gespielt von Karolina Bruchnicka, bemerkenswert. Regisseur Grzegorzek verriet den anwesenden Gästen, dass er erst nach einer erfahrenen Tennisspielerin gesucht habe, aber keine geeignete Person fand, die mit ihrer schauspielerischen Leistung überzeugen konnte. Danach suchte er nach einer Schauspielerin und fand in Karolina Bruchnicka nicht nur eine gute Darstellerin, sondern auch eine ehrgeizige Persönlichkeit, die es schaffte, in wenigen Monaten und nach fünf- bis sechsstündigen Trainings das Tennisspielen, ohne Vorerfahrung, sehr gut zu beherrschen. Dieses Engagement, welches beide Hauptdarsteller für einen vom Mainstream entfernten Film an den Tag legten, ist schon bemerkenswert.

Nach jeder Vorführung hatten die Zuschauer das Privileg, ihre Stimmen für den Zuschauerpreis auf Stimmzetteln abzugeben. Unter den Zuschauerstimmen wurden drei, nicht wie vorher versprochen vier, Kino-Jahreskarten live auf der Preisverleihung in Zgorzelec verlost. Es gab zwei Kategorien des „Publikumspreises“. In der Kategorie „Langfilm“ gewann die tschechische Ensemble-Komödie „Chata na prodej“ (dt. Wochenendhaus zu verkaufen, 2018) und in der Kategorie Kurzfilm gewann der deutsche Film „Die letzten fünf Minuten der Welt“ (2018).

Ebenfalls eine Trophäe in Form eines Neiße-Fisches und 10.000 Euro sind an Susanne Heinrich für ihren Film „Das melancholische Mädchen“ (2019) gegangen. Der Film ist als unkonventionelle, postmoderne Komödie in rosa und hellblau mit wenigen Schauspielern zu beschreiben. Er war auch gleichzeitig der Gewinnerfilm in der Hauptkategorie „Wettbewerb Spielfilm“.

Film Jury mit Preisträgerin Susanne Heinrich (2. v. r.), Hauptdarstellerin Marie Rathscheck (3. v. r.) und Staatsministerin Dr. Eva-Maria Stange (1. v. r.) ©Aleksandra Krause

Der Ehrenpreis wurde dem polnischen Schauspieler Jan Nowicki verliehen, der leider aus gesundheitlichen Gründen nicht an der diesjährigen Preisverleihung teilnehmen konnte. Trotzdem hatte die Regisseurin Iris Gusner eine Laudatio auf ihn gehalten und an seine künstlerischen Darbietungen erinnert. Dazu zählen seine Hauptrollen in den Filmen „Sanatorium pod klepsydrą“ (dt. Das Sanatorium zur Todesanzeige) von Wojciech Has sowie „Ich liebe dich ― April! April!“ von Iris Gusner und „11 minut“ von Skolimowski.

Es gab noch weitere Preisträgerfilme und viele weitere Filme, die unbedingt sehenswert sind und auch einen Preis verdient gehabt hätten. Als Zuschauer hatte man die Qual der Wahl, weil die Filme gleichzeitig in verschiedenen Kinos aufgeführt wurden. Am Sonntag, den 12.05., konnte man in den verschiedenen Kinos nochmals die preisgekrönten Filme sehen und so bot sich für diejenigen, die sie nicht geschaut haben, die Chance, dies nachzuholen.

 

Die Neiße-Fische-Preisverleihung

Die Begehrlichkeiten des Abends: die „Neiße-Fische“ ©Aleksandra Krause

Die Preisverleihung der Neiße-Fische erfolgte im pompösen Bau des Miejski Dom Kultury in Zgorzelec, der polnischen Schwester der Stadt Görlitz. Zusammen bilden Görlitz und Zgorzelec die Europastadt Görlitz/Zgorzelec. Dieses Filmfestival wird nicht nur von privaten Institutionen, sondern auch von staatlicher Seite gefördert und unterstützt. Dazu zählen nicht nur die Städte Görlitz, Zittau, Zgorzelec usw., sondern auch das Land Sachsen. Unter den Gästen waren neben dem Zittauer Bürgermeister Thomas Zenker, dem stellvertretenden Bürgermeister der Stadt Zgorzelec Radosław Baranowski und einem hochrangigen Abgeordneten der Stadt Görlitz auch die sächsische Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst Dr. Eva-Maria Stange. Sie hat die jungen Filmemacher gelobt und animiert, auch im nächsten Jahr Filme zu präsentieren. Dieses Jahr erfolgte die Erhöhung des Preisgeldes für den besten Spielfilm auf 10.000 Euro. Dr. Eva-Maria Stange begründete dies mit der gestiegenen künstlerischen Qualität und der kreativen Umsetzung von berührenden gesellschaftlichen Themen. Es ist eine Wertschätzung für die teilweise kritische filmische Abbildung der Gesellschaft. Ein Film erreicht manchmal mehr als die Worte eines Politikers oder einer Politikerin, der Film kann Emotionen wecken, kann Leidenschaften erzeugen und das ist das, was wir heute mehr denn je brauchen. Die Erinnerungen an positive Gefühle bleiben lange Zeit im Kopf. Solche Initiativen, im Rahmen welcher sich unterschiedliche Länder mobilisieren und etwas gemeinsam machen, sollten noch mehr unterstützt und geschätzt werden. Vielen Dank für das Neiße Filmfestival, wir sehen uns in einem Jahr!