Ach, Frau Schneider: Polnisch ist schwer.

Frau Schneider lernt Polnisch. Frau Schneider schreibt dabei in der dritten Person über sich und Ihre Gedanken. Frau Schneider macht eine Reise ins eigene Bewusstsein und nimmt sich die aktuellen politischen Themen Polens und die der letzten Jahrhunderte vor.

Dies ist meine Kurzbeschreibung von Sabine Hassingers Buch “Frau Schneider lernt Polnisch”, das mir der herausgebende Klever-Verlag freundlicherweise für eine Rezension zugeschickt hat. Denn mal ehrlich: Wen, wenn nicht mich, sollte schon interessieren, wie es anderen beim Polnischlernen ergeht? Wo ich doch bei dieser Sprache immer wieder mal an den Rand der Verzweiflung geriet – und gerate.

Selbsterfahrung und Bewusstseinsreise

Wer über sich in der dritten Person schreibt, ist entweder König/in, Kaiser/in oder Künstler/in. Alle anderen Gründe halte ich mal für Ausnahmeerscheinungen. Und weil Könige und Kaiser in Deutschland und in Polen derzeit nicht so populär sind, bleibt die Gewissheit: Die Autorin denkt wie eine Künstlerin und schreibt auch so.

Der Verlagstext dazu weiß:

Frau Schneiders Sprachreise nach Polen ist zugleich eine Reise ins eigene Bewusstsein. Begriffe verflüssigen sich zwischen den Sprachen Deutsch und Polnisch, lösen Assoziationen aus und führen uns in die polnische Geschichte und Gegenwart. Frau Schneider tritt in einen Dialog mit Claude Lanzmann, mit dem polnischen Genitiv, mit aktuellen Figuren der Regierung, mit Łódź, mit Maria Dąbrowska, mit oko.press, mit März 1968, mit Adam Mickiewicz, mit Beugungen, Steigerungen, Möglichkeitsformen.

Foto Schneider lernt Polnisch.
Foto Schneider lernt Polnisch.

Ganz konkret: Die Autorin hat der Ich-Erzählerin Frau Schneider, die offenbar  sehr motiviert ans Polnischlernen geht und das sehr konsequent auch in Polen umsetzt, einen Schreibstil mitgegeben, der Gedanken in beiden Sprachen aufnimmt. So bestehen Sätze immer aus einer Mischung deutscher Worte (größter Anteil), polnischen Vokabeln und Aussprüchen sowie Kurzsätzen als auch aus Wortlautzeichen, also Lautungen für die Aussprache.

So lautet ein typischer Satz zum Beispiel:

“Warto być Betonung auf i  pfiswoitim przyzwoitym, hier rz stimmlos gesprochen sch ʃ, tak, teraz rozumiem jetzt verstehe ich, anständig wäre das Interesse an Geschichte bzw. Zeitgeschehen gewesen, prObLämm problem był besser im Werkzeugfall problemem byłodas Problem war mein erwachsenes Umfeld, das endlos mit der Bewältigung der eigenen Lebensgeschichte beschäftigt war.”

Der Bezug zu einem wichtigen Buch Władysław Bartoszewskis ist klar (zumindest, wenn man Bartoszewskis Geschichte kennt und den Hinweis aus einem vorangehenden Satz aufnimmt), die Selbstkritik der Autorin auch. Die kursiv gedruckten Lautungen (können wir hier im Blog leider nicht ganz richtig abbilden) und die polnischen Worte dazwischen machen deutlich, in welcher Art und Weise die Autorin sich hier bei der Lektüre politischer Themen der polnischen Sprache genähert hat. 

Lesbarkeit 5, Anspruch 1

Wer sich wie ich auf eine entspannende Abendlektüre beim gleichzeitigen Auffrischen der polnischen Sprachübungen gefreut hatte, erkennt spätestens nach diesem noch recht humanen Beispielsatz: Das klappt nicht, wenn Frau Schneider Polnisch lernt. Jeder zweite Satz enthält mehr Gedankensprünge als mancher Krimi in 50 Seiten packt. Es ist anstrengend.

Andererseits steckt in vielen Sätzen unglaublich viel. Wenn man sich die Zeit nimmt, die Gedanken Satz für Satz schweifen zu lassen, schreibt man die Rezension entweder ein halbes Jahr später oder (wie ich) vor dem Zu-Ende-Lesen des Buchs. Allerdings geht es meines Erachtens auch nicht anders, als sich darauf einzulassen: Denn sonst nervt das Lesen nur, weil man die Sätze nicht schnell verstehen kann. Bei einem langsamen Lesen erinnert man auch exotischere polnische Vokabeln wieder, man macht sich die politischen Entwicklungen der letzten Jahre noch einmal deutlich und kann auch wieder ein wenig die eigenen Qualen Herausforderungen beim Lernen durchleben.

Astrid Nischkauer hat sich in einer Rezension des Buchs auf fixpoetry offenbar die Zeit genommen und das Resultat in den schönen Worten zusammengefasst:

Die fremden Worte werden bestaunt, belauscht, abgetastet, verkostet, mit ähnlich klingenden verglichen und sich so allmählich zu eigen gemacht. 

Politik und Geschichte

Foto Schneider lernt Polnisch.
Foto Schneider lernt Polnisch.

Es geht primär um Sprache. Aber fast immer spielt auch die Politik eine zentrale Rolle, was ja immer gleichsam politische Geschichte ist. So macht die Ich-Erzählerin aus ihrer Perspektive auf die aktuellen politischen Entwicklungen keinen Hehl. Das  ist  bezeichnend, weil damit die Ratlosigkeit über wichtige Teile der gegenwärtigen politischen Entwicklung in Polen deutlich wird. Denn ganz offenbar hat auch das starke Eintauchen in die polnischsprachige Literatur und Berichterstattung den Deutungsdrang, die Bewertungsperspektive und auch die Einschätzung im deutschen Mainstream – was hier nicht wertend gemeint ist – nicht geändert.

Meine erste These dazu: Die Sprache ist allein doch kein Brückenbauer. Meine zweite These: Frau Schneider hat viel gelesen, aber Prägungen übernimmt man dadurch nicht.

Leseempfehlung?

Wer sich wirklich für die polnische Sprache und die polnische Geschichte interessiert, findet im Buch von Sabine Hassinger einen interessanten, herausfordernden Kandidaten für eine längere Auseinandersetzung auf verschiedensten Ebenen. Angst vor Wortspielen, komplexen Sätzen und nicht immer zielgerichteten Themenketten sollte man nicht haben. Und die Erwartung, eine leichte Lektüre im roten Umschlag vor sich zu haben, habe ich schon oben verworfen. Auch, wenn die ersten Sätze noch danach klingen:

“Frau Schneider lernte Katarzyna bei den Mülltonnen kennen, kaum jemand sprach ihren Namen richtig aus. Mal zeigte sie sich darüber belustigt, mal regte es sie auf, wie dumm und unaufmerksam die Menschen sind.”

Der Satz macht deutlich, dass der Ansatz, die Missachtung des Polnischen und der polnischen Sprache in literarischer Form aufzunehmen und ans Licht zu bringen, auch mit leichterer Sprache möglich gewesen wäre. In meinen Gedanken entwickelt sich eine Geschichte etwa zwischen einem flachen Serienfilm wie “Magda macht das schon” und “Frau Schneider lernt Polnisch”, in der die Protagonisten ihre gegenseitige Kritik am jeweiligen Umgang mit Sprache und Kultur in humorvoll-tiefgehende Episoden verpacken. Vermutlich war meine Erwartung an dieses Buch auch mein Problem: Es ist viel künstlerischer, sprachzaubernder, forschender als erwartet und damit auch eine große Leistung. Denn wer sich darauf einlässt, wird mit vielen Gedankenanstößen und Ideen belohnt. Dies sind Hinweise, Anreize und Forderungen an sich selbst. Wie der Klappentext schreibt: “(…) einen kontinuierlichen, gleichsam wilden Prozess der Verarbeitung persönlicher Wahrnehmungen. Wie sich was verbindet und zusammensetzt, das ist hier die Fiction. Jasne, klar, Frau Schneider?”.

 

Bestellen kann man das Buch beim Verlag für Verlag für 18 Euro.

Sabine Hassinger

Frau Schneider lernt Polnisch
Klever Verlag

Erschienen: 2018, 144 Seiten, 18,00 Euro, ISBN: 978-3-903110-38-0