Analyse: Die Polonophilie der deutschen Christdemokraten

Jarosław Kaczyński warb jüngst in einem FAZ-Interview bereits zum zweiten Mal vor einem deutschen Publikum für eine Wiederwahl von Angela Merkel, mit der Begründung, dass eine vierte Amtszeit für die Kanzlerin das günstigste Ergebnis für Polen sei. Kaczyński, wie die meisten polnischen Kommentatoren, ist vor allem über die mutmaßliche Russophilie der deutschen Sozialdemokraten besorgt und lobt Merkels Standhaftigkeit in Bezug auf die Sanktionen gegen Russland. [1] Aber es gibt weitere Gründe für Polen, Merkel zu bevorzugen – das Land spielt für die deutschen Christdemokraten in ihrer Konzeption der Europäischen Union nämlich eine wichtige Rolle.

Die Außenminister Gabriel und Mikser in Tallinn, 1.3.17 (Foto: flickr / EstMFA / CC-BY)
Die Außenminister Gabriel und Mikser in Tallinn, 1.3.17 (Foto: flickr / EstMFA / CC-BY)

Ein interessantes Beispiel für gewisse Unterschiede im Umgang mit Russland konnte man vor Kurzem beobachten, als der neue deutsche Außenminister und Vorsitzende der SPD, Sigmar Gabriel, die baltischen Staaten und die Ukraine besuchte. In Tallinn betonte er die deutsche Bereitschaft zur Verteidigung der Ostflanke der NATO, äußerte aber auch Zweifel am NATO-Ziel, zwei Prozent des BIP für die Verteidigung auszugeben.

Zur gleichen Zeit besuchte die Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) die in Litauen und Estland stationierten deutschen Truppen. Im Gegensatz zu Gabriel befürwortete von der Leyen das 2-Prozent-Ziel, gab jedoch zu, dass es einige Zeit dauern würde, es zu erreichen. Sie drückte ihre Überzeugung aus, dass „Estland und unsere Freunde aus Litauen, Lettland und Polen sich auf uns verlassen können“ und erklärte, dass „wir als Deutsche wissen, was es bedeutet, an der Ostgrenze zu stehen und den soliden Schutz der Allianz zu haben.“ [2]

Mit seinen Reisen in die baltischen Staaten und die Ukraine hatte Sigmar Gabriel Polen als das traditionell erste Ziel eines neuen Außenministers in Deutschlands östlicher Nachbarschaft übersprungen. Er begründete diese Entscheidung damit, dass ein Land wie Deutschland klar machen sollte, dass Europa nicht allein aus großen Staaten bestehe. [3] Am selben Tag sendete der ehemalige Vorsitzende des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten des Europäischen Parlaments, Elmar Brok (CDU), ein anderes Signal in Richtung Polen. In einem Interview für die WELT, betonte er, dass „zum künftigen Kern Europas auf jeden Fall Deutschland, Frankreich und möglichst auch Italien und Polen zählen“ [4] sollten.

Am Montag, dem 6. März, eine Woche später, fand auf Einladung des französischen Präsidenten Hollande ein anders zusammengesetztes potenzielles Kerneuropa in Paris zusammen. Staats- und Regierungschefs der vier größten Volkswirtschaften des europäischen Kontinents, Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien trafen sich, um „den vier Nationen eine politische Dynamik zu geben“ [5], wie ein französischer Diplomat zitiert wird. Ein solcher Kern als Teil eines Europa der zwei Geschwindigkeiten ist nicht nur für Polen ein Schreckensszenario, sondern auch für die deutschen Konservativen. Ihr größter Alptraum, „Euro-Bonds“ – gemeinsame Staatsanleihen für die Euro-Zone – würde unter diesen Umständen wahrscheinlicher. Während der Euro-Krise zählte Deutschland vor allem auf Unterstützung aus den Niederlanden, Finnland und den baltischen Staaten, die den deutschen Fokus auf Haushaltsdisziplin und Wettbewerbsfähigkeit teilen.

Für die CDU zählt Polen zu „Kerneuropa“

Mit dem Brexit verloren die deutschen Bürgerlichen einen starken Fürsprecher für eine wettbewerbsfähige Vision der Europäischen Union, als Gegengewicht zu den stärker an Keynesianismus und Verteilungspolitik orientierten wirtschafts- und finanzpolitischen Diskursen in Frankreich, Italien und Spanien. Polen wird von den deutschen Christdemokraten als strukturell konservatives Land mit ähnlichen Ansichten in der Wirtschaftspolitik betrachtet. Unabhängig von seiner Lage außerhalb der Euro-Zone wird die CDU stets dazu neigen, polnischen Einfluss auf die europäische Gemeinschaftspolitik zu unterstützen. So sehr wie Polen ein potenzieller Verbündeter für die CDU ist, haben die Sozialdemokraten Schwierigkeiten, ideologische Gemeinsamkeiten zu finden. Der europäische Partner der deutschen Sozialdemokraten in Polen, die Demokratische Linksallianz SLD, ist schwach und es bestehen in der nahen Zukunft nur geringe Chancen auf eine Rückkehr der Linken auf die politische Bühne.

Herzliche Begrüßung: Szydło & Merkel am 7.2.17 in Warschau (Foto: P.Tracz / flickr / KPRM / Public Domain)
Herzliche Begrüßung: Szydło & Merkel am 7.2.17 in Warschau (Foto: P.Tracz / flickr / KPRM / Public Domain)

Man kann Gabriels Entscheidung, den symbolischen ersten östlichen Besuch in Polen zu überspringen, vor diesem Hintergrund interpretieren. Statt Merkels Kurs einer Annäherung an die PiS-Regierung zu betonen, bevorzugt Gabriel es, hervorzuheben, dass er die Kritik am Rechtskurs in Polen teilt. Dass die deutschen Sozialdemokraten auch weniger prinzipientreu sein können, wenn sie gemeinsame Interessen sehen, konnte man vor ein paar Wochen beobachten. Obwohl Hunderttausende Rumänen gegen eine Verwässerung der Antikorruptionsgesetze protestierten, war seitens der deutschen Sozialdemokratie keine hörbare Kritik an der regierenden Sozialdemokratischen Partei Rumäniens zu vernehmen. Dieses Verhalten erinnerte nicht Wenige an das Schweigen der CDU in Bezug auf die umstrittenen Reformen Viktor Orbáns, Ihrem Parteifreund in der Europäischen Volkspartei [6].

 

Dieser Artikel erschien zuerst auf Englisch beim Forum Ekonomiczne / Economic Forum, Warschau.

 

Zitate:

[1] Schuller, Konrad: „Im Gespräch: Jarsolaw Kaczynski, Vorsitzender der polnischen Regierungsartei PiS, über Schulz und Merkel, die EU und den Rechtsstaat. ‚Eine Atom-Supermacht Europa würde ich begrüßen’“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 32, 07.02.2017, S.2. Zur Online-Version.

[2] Siebold, Sabine / Mardiste, David: “Germany says to keep soldiers in Baltics as long as needed”, Reuters, 02.03.2017

[3] Engel, Sebastian / Fischer, Michael: „Baltikum statt Polen: Gabriels erste Antrittsreise nach Osten“, dpa, 01.03.2017

[4] Tauber, Andre / Schiltz, Christoph B.: „In einer Europäischen Union ist kein Platz für Großbritannien“, Die Welt, 01.03.2017

[5] afp: “EU’s big four meet to seek impetus in face of Brexit”, 06.03.2017

[6] Giegold, Sven: „Das peinliche Schweigen des Martin Schulz: Der SPD-Kanzlerkandidat hat unsere Werte bereits aufgegeben“, Huffington Post, 10.02.2017

 

Leo Mausbach (Foto: privat)Zum Autor:

Leo Mausbach ist Programmkoordinator des Economic Forum in der Fundacja Instytut Studiów Wschodnych in Warschau.

Er ist Absolvent der European Studies an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) und der Adam-Mickiewicz-Universität Poznań sowie der Politikwissenschaften an der Freien Universität Berlin. Zudem ist er Koordinator des Stipendiaten-Netzwerks Osteuropa der Konrad-Adenauer-Stiftung.