Breslau / Wrocław – Eine tausendjährige Stadtentwicklung in Bildern und Plänen

In Straßen und Häusern einer Stadt können wir wie in einem Geschichtsbuch lesen. Nichts ist zufällig, alle Gestaltung hatte eine Absicht oder einen Anlass. Jede Architektur, jeder Straßenverlauf und jede Siedlung könnte viel über Ideen, Werte und die Umstände ihrer Entstehung berichten. Aber um sich die Geschichte zu erschließen, man muss die Schlüssel dazu besitzen, wie sie historische Karten und Ansichten, Luftbilder und Beschreibungen darstellen. Diese zu beschaffen und auszuwerten ist meist langwierig und mühsam – das galt bisher auch für Breslau / Wrocław.

Historisch-topografischer Atlasband schlesischer Städte zu «Breslau/Wrocław» erschienen

Um die Geschichte schlesischer Städte – und hier insbesondere die Breslaus – zu entschlüsseln bietet jetzt das Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung, in Kooperation mit dem Historischen Institut der Universität Breslau, der Universitätsbibliothek Breslau und der Staatsbibliothek zu Berlin gleich ein ganzes Schlüsselbund an. Als fünfter von geplanten 34 Bänden ist dieses Jahr der hervorragende historisch-topografische Atlasband schlesischer Städte «Wrocław / Breslau» erschienen. Er stellt einen Teil eines deutsch-polnisch-tschechischen Projekts dar, dessen Ergebnisse für ausgewählte schlesische Städte auch in einer interaktiven Multimediaform im Internet zu betrachten sind. An der urbanen Geschichte dieser schlesischen Großstadt interessierte werden lesend und betrachtend viele spannende Stunden mit diesem Werk verbringen können.

In der ersten Hälfte dieses im Folioformat vorliegenden Paperback-Buchs wird diese Entwicklungsgeschichte Breslaus in sechs Zeiträumen vorgestellt, in der zweiten Hälfte werden im A3-Format Pläne vorgelegt. Da sind zuerst Darstellungen der Breslauer Innenstadt in den Jahren 1932 und 2015. Eine Edition deutscher topografischer Karten im Maßstab 1:25 000 vom 19. bis ins 20. Jahrhundert, Montagen von historischen Senkrechtluftbildern, eine Edition polnischer topografischer Karten (1:25 000) vom 20. bis 21. Jahrhundert sowie eine speziell für diesen Band angefertigte äußerst informative Karte der Entwicklungsphasen Breslaus / Wrocławs vom 19. bis zum 21. Jahrhundert stellen das Grundlagenmaterial dar, das den Textteil begleitet und verortet.
Einige dieser Materialien werden im Atlasband erstmals veröffentlicht. Dazu gehören beispielsweise die Senkrechtluftaufnahmen der Deutschen Luftwaffe von 1944, in denen auch solche Details des Stadtgebiets sichtbar sind, die wegen militärischer Geheimhaltung in Stadtplänen nicht abgebildet wurden.

Mit diesem Werk wird deutlich, dass sich mehr als tausend Jahre Stadtentwicklung unter wechselnden politischen Herrschaftsverhältnissen und kulturellen Einflüssen tief in die Topographie und Architektur der schlesischen Metropole Breslau eingeschrieben haben. Mit der derzeitigen städtebaulichen Entwicklung und einer in den letzten Jahren verstärkten eigenen kulturellen Identität wurde Breslau so zu einer der attraktivsten Städte in Polen und zur Kulturhauptstadt Europas 2016.

Wechselvolle Zugehörigkeit Breslaus bis zum 18. Jahrhundert

Seite des topografisch-historischen Atlas schlesischer Städte – Breslau Wrocław (c) Herder-Institut

Wie der Atlas beschreibt, entwickelte sich Breslau seit dem Mittelalter aufgrund seiner günstigen Verkehrslage zu einem politischen, kulturellen und wirtschaftlichenZentrum in Mitteleuropa. Zunächst unter böhmischer, piastischer und zeitweise ungarischer Herrschaft übernahmen 1526 die Habsburger die schlesischen Erblande und damit auch Breslau. Einen weiteren Wendepunkt in der Geschichte der Stadt stellte die Besetzung Breslaus durch die preußischen Truppen 1741 und die anschließende Einverleibung eines Großteil Schlesiens in das Königreich Preußen dar.

Planvolle Stadtentwicklung im 19. Jahrhundert

Den für diese Zeit typischen Prozess der Flächendifferenzierung, so die Autoren des Atlas, durchlief die Stadt im 19. Jahrhundert. Eine sprunghafte Urbanisierung der Vorstädte beförderte deren Eingemeindung und die Altstadt entwickelte sich zur „City“. Prägender Ausdruck dieses durch rapide Bevölkerungszunahme und Industrialisierung hervorgerufen Wandels der städtischen Topographie war Anfang des 19. Jahrhunderts die Schleifung der Festungen, seit der Mitte dieses Jahrhunderts unterstützt durch einen Stadtentwicklungsplan und die Novellierung der Bauordnung.

Auf dem Areal der Bastionen entstand eine attraktive Promenade, die sich als Ring um die südliche Altstadt legte. Bereits 1840 wuchs Breslau mit 100 000 Einwohnern zur Großstadt heran. Die dynamische Entwicklung seit der Reichsgründung 1871 ermöglichte die notwendigen Investitionen in Anlage und Ausbau der technischen Infrastruktur. Am Ende des 19. Jahrhunderts veränderte sich das häufig noch mittelalterlich geprägte Stadtbild hin zur Großstadt wilhelminischer Prägung.

Starkes städtisches Wachstum im 20. Jahrhundert bis zur Zerstörung im Zweiten Weltkrieg

Höhepunkt der Stadtentwicklung noch vor dem Ersten Weltkrieg war gemäß den Verfassern die Anlage des Ausstellungsparks als neuer Mittelpunkt der gewerblichen Zukunft Breslaus mit der Jahrhunderthalle von 1913, die seit 2006 zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört.

Die städtebauliche Entwicklung der Zwischenkriegszeit erfolgte auf der Basis eines Generalplans von 1924, der durch die Eingemeindung von 36 Ortschaften vor allem die Errichtung von Wohnsiedlungen am Stadtrand und den Ausbau der Hauptverkehrsadern, darunter auch die Anlage eines Ringstraßensystems vorsah.

Seite im topografisch-historischen Atlas schlesischer Städte Breslau Wrocław (c) Herder-Institut

Zunächst galt es allerdings der großen Wohnungsnot nach dem Ersten Weltkrieg zu begegnen. Die neu angegliederten Stadtgebiete wurden nicht nur durch private Investoren, sondern auch durch die „Siedlungsgesellschaft BresIau“ und die „Schlesische Heimstätte” bebaut. So entstanden u. a. die gartenstadtartige Siedlung Zimpel (1919-1935) und die modernistische Siedlung Klein Tschansch (1928). Städtebaulich und architektonisch richtungweisend war zudem die Ausstellung „Wohnung und Werkraum“ (WuWA), als deren Hauptbestandteil die funktionalistische Werkbundsiedlung (1929) entstand. Von den umfangreichen Hochhausplanungen für die moderne Großstadt Breslau kamen das Postscheckamt und das Sparkassengebäude am Ring zur Ausführung.

Während der nationalsozialistischen Zeit kamen Vorhaben zur Veränderung des Stadtzentrums, abgesehen von dem monumentalen Regierungsgebäude an der Oder, über das Planungsstadium nicht hinaus. Noch 1944 zur Festung erklärt, wurde Breslau während der folgenden Kampfhandlungen nahezu vollständig zerstört.

Wiederaufbau nach historischen Vorbild und sozialistische Stadtplanung

Wie der Atlas zeigt, entstand nach dem Zweiten Weltkrieg auf den Trümmern Breslaus das neue Wrocław. Zunächst galt es für seine 1945-1947 vollständig ausgetauschte Einwohnerschaft die Industrie und die Verkehrswege instand zu setzen sowie die Enttrümmerung der Stadt und die Zuteilung von Wohnraum zu organisieren. Das 1949 eingerichtete Städtische Amt für Raumplanung (Miejski Urząd Planowania Przestrzennego) war zudem für den Wiederaufbau der Altstadt unter weitgehender Rekonstruktion zerstörter Baudenkmäler zuständig. Die weiteren Stadtentwicklungspläne sahen eine Stärkung der Rolle der Innenstadt und den Bau neuer Siedlungen vor. Letztere entstanden in den 1970er und 1980er Jahren in industrieller Großbauweise, v. a. am südlichen und westlichen Stadtrand.

Neue Blüte nach 1989

Nach dem politischen Umbruch von 1989 kam die Stadt zu neuer Blüte. Der Transformationsprozess und seine raumwirksamen Folgen sorgten für einen rasanten Aufschwung Breslaus, unterstützt durch den Beitritt Polens zur Europäischen Union im Jahr 2oo4. lm Rahmen der Strategie „Wrocław 2ooo Plus“ konzentriert sich die Stadt auf den Um- und Ausbau des städtischen Verkehrsnetzes, die Modernisierung der kommunalen Infrastruktur und in die Sanierung des kommunalen Wohnungsbestandes in der Alt- und Innenstadt. Neben zahlreichen Bürogebäuden und Wohnhochhäusern entstehen, auch im Zusammenhang mit der fortschreitenden Suburbanisierung im gesamten Stadtgebiet weitere, neue Wohnprojekte und Einkaufszentren. lm Rahmen der Vorbereitungen zur FußbaII-Europameisterschaft 2012, die für Breslau das neue städtische Stadion brachte, konnte die westliche Autobahnumgehung fertig gestellt werden. Mit dem Sky Tower von 2012 entstand eine neue städtebauliche Dominante.

Wem diese kurze Schilderung Lust auf mehr Stadtbaugeschichte in Schlesien gemacht hat, dem seien die historisch-topografischen Atlanten des Herder-Instituts wärmstens empfohlen.

Topografisch-historischer Atlas schlesischer Städte – Breslau Wrocław
(c) Herder-Institut

Historisch-topografischer Atlas schlesischer Städte. Band 5: Wrocław Breslau. 2016
Im Auftrag des Herder-Instituts herausgegeben von Peter Haslinger, Wolfgang Kreft, Grzegorz Strauchold, Rościsław Żerelik. Bearbeiter Grzegorz Strauchold und Rafał Eysymontt.
ISBN 978-3-87969-409-9
80 S., 40 Karten, 74 Abb., 2016, DE €35, PL €25, EN €40

Bereits zuvor erschienen
• Band 1: Görlitz / Zgorzelec (48 S., 29 Karten, 41 Abb., 2010, DE/PL, €19)
• Band 2: Opole / Oppeln (52 S., 26 Karten, 49 Abb., 2011, DE/PL, €19)
• Band 3: Węgliniec / Kohlfurth (48 S., 21 Karten, 57 Abb., 2012, DE/PL, €19)
• Band 4: Nowa Sól / Neusalz (52 S., 26 Karten, 63 Abb., 2013, DE/PL, €19)

Vertrieb in Deutschland und Westeuropa: www.herder-institut.de
Vertrieb in Polen und Osteuropa: www.vianova.pl