Im Krankenhaus in Polen – ein Lagebericht

Warum gibt es an Wochenenden weniger Notfälle? Foto: Polen.pl (BD)

(Bremen, JE) Artikel über Krankenhäuser sind in der Regel eine traurige, deprimierende Angelegenheit. Doch selbst wenn es um Leben oder Sterben geht, können Tragik und Komik manchmal eng bei einander liegen. Die Gazeta Wyborcza berichtete vor einiger Zeit über eine Warschauer Klinik und befragte dabei einen Patienten, der seine missliche Lage mit Humor nahm. ‚Als ich ins Krankenhaus kam, habe ich nicht mit Luxus gerechnet. Ich habe erwartet, dass es keine bunte Bettwäsche oder Toilettenpapier geben wird, aber ich habe nicht erwartet, dass ich auch keine Gabel, Messer, Löffel oder Becher bekomme‘. Eineinhalb Tage lag er nach eigener Auskunft, unfähig aufzustehen, vor dem Teller mit Essen und nichts passierte. Niemand half ihm, bis seine Familie zu Besuch kam und ihn rettete. Mit den Händen essen wollte er nicht. ‚So lecker sieht das Krankenhausessen dann doch nicht aus‘.

Eine Frage des Geldes?

Eine Geschichte, die sicher nicht verallgemeinerbar ist, aber symptomatisch. Sie verweist auf die chronische Unterfinanzierung der Krankenhäuser in Polen. Für die Gesundheitsversorgung seiner Bürger gab Polen laut Eurostat im Jahr 2008 sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus, in Deutschland waren es 10,6. Das polnische Gesundheitssystem hat mit Sicherheit nicht nur ein Finanzierungsproblem. In der Wochenzeitung Polityka wurde die Frage, wie viel Geld das Gesundheitswesen benötigt, kürzlich gar als zweitrangig eingestuft. Ohne die Behebung einiger struktureller Defizite, würde es uns vielmehr beweisen, ‚dass es in der Lage ist, jegliches Geld zu verschwenden‘. Und dennoch: Der Geldmangel in den Kliniken ist akut und hat weitaus ernstere Konsequenzen als fehlendes Klopapier und Besteck. Viele Häuser sind hoch verschuldet und kämpfen ums Überleben. Gesundheitsministerin Kopacz (PO) wird im Polskie Radio folgendermaßen zitiert: ’20 Prozent der Krankenhäuser, welche die größten finanziellen Schwierigkeiten haben, produzieren jedes Jahr etwa sieben Milliarden Schulden des Gesundheitssystems‘. Dass auch die Behandlung der Patienten darunter leidet, dürfte niemanden überraschen.

Geld steuert Behandlung

Sehr aufschlussreich ist diesbezüglich eine Analyse des Nationalen Gesundheitsfonds (NFZ) aus dem vergangenen Herbst. Als dieser untersuchte, wie viele Notfallpatienten die Krankenhäuser im Wochen- und Jahresverlauf aufnehmen, stieß er auf zwei erstaunliche Ergebnisse: Die Zahl der Notfälle ist erstens an Wochenenden deutlich geringer als an Wochentagen und steigt zweitens gegen Jahresende erheblich an. Die einzige logische Erklärung dafür ist, dass die Kliniken die Aufnahme von Patienten nach wirtschaftlichen Kriterien steuern. An Samstagen und Sonntagen wird in vielen Häusern das Personal reduziert, um die Zahlung von Wochenendzuschlägen auf den Lohn zu vermeiden. Dementsprechend können auch nicht so viele Patienten behandelt werden.Die Gazeta Wyborcza erklärte daraufhin das Wochenende für lebensgefährlich. Gleichzeitig nimmt die Zahl der Notfallpatienten im Herbst zu, weil in vielen Krankenhäusern die mit dem NFZ vereinbarten Budgets erschöpft sind und die Deklarierung als Notfall die einzige Möglichkeit darstellt, die Behandlung überhaupt abzurechnen. Die prekäre Lage der Kliniken hat emotionale Debatten über Privatisierung im Lande angestoßen. Die Regierung möchte verschuldete Einrichtungen in privatrechtliche Form überführen und trifft dabei auf heftigen Widerstand. Ob eine ‚Kommerzialisierung‘ der Krankenhäuser jedoch zur Lösung des Problems taugt, darf mit Blick auf die Erfahrungen anderer Länder bezweifelt werden.

Todesursache Wochenende

Vielleicht sollte man einen Artikel über Krankenhäuser mit einer traurigen Geschichte beenden. Einer Geschichte die klar macht, dass sich die finanzielle Lage der Kliniken ändern muss, damit eine qualitativ hochwertige medizinische Versorgung gewährleistet werden kann. An einem Sonntag im August letzten Jahres wurde der Sparzwang und Personalmangel für eine Patientin eines Warschauer Krankenhauses zum Verhängnis. Ewa Trautman hätte vermutlich überlebt, wären ihr Hirnschlag und damit verbundene Hirnblutungen mit Hilfe des Computertomographen entdeckt worden. Allerdings war am Wochenende kein Radiologe im Haus, wie die Gazeta Wyborcza berichtete. Die richtige, lebensrettende Diagnose blieb aus. Der Klinik wurde eine Strafe in Höhe von 220.000 Złoty auferlegt. An den Ursachen der Misere ändert das nichts.