Literatur der Grenze: Vom Übersetzen deutschsprachiger Autoren ins Polnische

Ein Gespräch mit Katarzyna Leszczyńska

Polen.pl: Katarzyna, du bist promovierte Germanistin und eine in Polen bekannte Literaturübersetzerin. Welche deutschsprachigen Autoren übersetzt du in die polnische Sprache?

Katarzyna Leszczyńska: Ich übersetze vor allem Herta Müller. Ich habe sie schon übersetzt, bevor sie 2009 den Nobelpreis für Literatur erhalten hat. Ich habe fast ihr gesamtes Werk ins Polnische übertragen. Andere Autoren waren Aglaja Veteranyi, Mariella Mehr, sowie Fragmente und Auszüge von Niklaus Meienberg. Zuletzt habe ich das schöne Bild übersetzt, das Hannah Arendt von Rahel Varnhagen gezeichnet hat.

Vom autorenbezogenen Übersetzen

Polen.pl: Wenn Du Literatur aus dem Deutschen ins Polnische überträgst, welches sind für dich die grössten Herausforderungen?

Katarzyna Leszczyńska: Ich glaube, dass das bei jedem Autor andere Herausforderungen sind. Bei Herta Müller sind das beispielsweise die für die deutsche Sprache so typischen zusammengesetzten Substantive, die bei ihr sehr hohe symbolische Bedeutung haben. Herta Müller verwendet Worte wie „Atemschaukel“, „Herzschaufel“, „Meldekraut“ oder „Hungerengel“. Das sind besondere Konstruktionen und sehr poetische Begriffe. Ich muss für viele dieser Begriffe schöne und kompakte Umschreibungen finden, da das Polnische diese Zusammensetzungen nicht kennt. Sie irritiert auch sonst gerne mit gewöhnlichen Worten, so dass sie in andere Bedeutungen und Gefühle führen. Und diese „Pantomime“ der Worte in eine andere Sprache zu überführen, ist nicht einfach.

Bei Herta Müller ist die Sprache sehr poetisch und ich nehme an, auch für viele Deutsche kompliziert. Sie hat, wie sie selber sagt, das Rumänische mitgenommen und in ihre deutsche Sprache eingebracht. Manchmal, wenn es um Emotionen geht, denkt oder fühlt sie rumänisch. Manchmal benutzt sie Wörter aus dem Banat. Das ist eine Herausforderung für die Übersetzung. Besonders beim ersten Buch von ihr war es für mich schwierig, den richtigen Ton zu finden. So dass die Inhalte im Polnischen auch wirklich in der besonderen Stimmung wiedergeben werden. Mit jedem weiteren Buch kam ich dann mehr in ihre Sprache hinein, da ging es dann leichter. Beim Buch „Atemschaukel“, einem Werk, das sie zusammen mit dem rumäniendeutschen Lyriker Oskar Pastior konzipiert hat, musste ich mich umstellen. Das war eine andere Sprache; man hat Pastior wirklich in ihrer Sprache gespürt. Das war sehr spannend.

Das übersetzte Werk der Nobelpreisträgerin Herta Müller
Das übersetzte Werk der Nobelpreisträgerin Herta Müller

Beim Übersetzten von Hannah Arendts Biografie von Rahel Varnhagen gab es für mich ganz andere Herausforderungen. Ihr Buch besteht aus zwei Teilen; aus Arendts Text und einer Sammlung von Briefen Rahel Varnhagens. In der Biographie findet man in den Ansätzen die politische, philosophische Sprache der spätern Werke von Arendt, aber auch die Sprache der deutschen Aufklärung und Romantik, die dann in Rahels Briefen richtig dominiert. Da musste ich mich in eine ganz andere Epoche und Schreibweise begeben.

Polen.pl: Rahel Varnhagen lebte an der Wende des 18. zum 19. Jahrhundert.

Katarzyna Leszczyńska: Ja, das stimmt. – Und auch Hannah Arendt schreibt in diesem Buch anders als in ihren späteren Büchern – weil sie einerseits teilweise etwas in die Stilistik und Schreibweise von Rahel hineinfällt, vor allem, wenn sie versucht nachzufühlen. Und andererseits ist das Buch so faszinierend, weil es so etwas wie eine Schmiede für viele ihrer späteren Gedanken ist. Die entstehen hier: Gedanken über die Freundschaft, über das politische Denken, über solche Begriffe wie „Parias in der Kultur“ oder „Parvenü“. Und das ist alles drin im Buch; das sind zwar nur Keime, aber das macht dieses Buch so wichtig.

Wieder anders sind die Texte von Mariella Mehr, die als eine Jenische in der Schweiz begonnen hat auf Deutsch zu schreiben. Oder von Aglaja Veteranyi, die diese Sprache erst mit sechzehn in der Schweiz erlernt hat. Jedes Mal ist das eine andere Sprache, ein anderes Deutsch. Deshalb sage ich immer: Die größte Herausforderung sehe ich darin, in die Welt des jeweiligen Autors einzutauchen und sich den von ihm geschaffenen Kosmos zu Eigen zu machen. Das Übersetzen ist sehr „autorenbezogen“.

Vom Leben in zwei Welten

Polen.pl: Ist es nicht eine Herausforderung, schon lange nicht mehr im täglichen Kontakt mit der polnischen Sprache in einer deutschsprachigen Umgebung zu leben (Anmerk.: Katarzyna Leszczyńska lebt in Zürich) und trotzdem ins Polnische zu übersetzen?

Katarzyna Leszczyńska: Ja, das ist eine andere Situation, als wenn ich in Polen leben würde. Allerdings, wenn man heute bewusst mit Polen im Kontakt bleibt, dann gibt nicht mehr so etwas wie ein Exil. Ich fühle mich nicht im Exil. Ich bin über das Internet verbunden und bin mindestens alle zwei Monate in Polen. Das ist ein Leben in zwei Welten. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich dadurch, dass ich in Zürich wohne, den Kontakt mit der Sprache verliere.

Das Gefühl des Kontaktverlusts mit der polnischen Sprache hatte ich jedoch als Germanistikstudentin in Polen. Weil wir im Studium fast verlernt haben, auf Polnisch zu schreiben. Wir mussten nicht nur alles auf Deutsch lesen, was in Ordnung wäre, sondern auch von Anfang an auf Deutsch schreiben, schon die erste Seminararbeit: man hat Übung im Schreiben auf Polnisch verloren und das Deutsche nicht perfekt beherrscht. Im ersten Studienjahr konnte man auf Deutsch noch nicht richtig über Literatur diskutieren, damit waren die Gespräche sehr eingeschränkt. Daher versucht man jetzt im Studium, flexibler zu werden, indem man anfangs auch Diskussionen auf Polnisch zulässt.

Kulturvermittlung im deutschen und polnischen Sprachraum

Polen.pl: Was von der polnischen Kultur möchtest du in der Schweiz und Deutschland durch das Reisebüro, das Du mit deinem Partner in Zürich führst, vermitteln und was durch Deine Übersetzungen von der deutschen Kultur in Polen?

Katarzyna Leszczyńska: Die Übersetzung deutscher Literatur ins Polnische ist gar nicht so weit entfernt davon, was ich mit der Organisation von Reisen mache. Ich versuche immer, ganz egoistisch, die für mich wichtigen Themen zu vermitteln.
Ich habe in Polen auch als Deutsch- und als Literaturlehrerin gearbeitet und ich habe gesehen, dass man die Studenten (mindestens einige) mitreissen kann, wenn man mit ihnen eine Leidenschaft teilt, wenn sie auch beginnen, eine Faszination oder Ärger zu spüren.

Die Autoren, die ich auf Polnisch übersetzte, stehen an einer Grenze – und deshalb gewähren uns einen Blick in verschiedene Welten. So zum Beispiel Herta Müller oder Aglaja Veteranyi, die aus Rumänien kamen, die Schweizer Jenische Mariella Mehr, Hannah Arendt, deutsche assimilierte Jüdin, die Weltbürgerin wurde, aber auch das Jüdische in sich entdeckt hat. Ihre Texte machen den Leser betroffen – sei es durch den Schrecken, sei es durch den Witz,  durch einen speziellen Umgang mit dem Wort oder durch die Provokation zum Denken. Sie lassen sich von Erlebten nicht trennen und sind politisch wichtig. Das ist Literatur, die sehr in der deutschen Kultur verwurzelt ist, aber auch etwas aus den anderen Kulturen übernommen hat. Also eine Literatur der Grenze.

Was wir auf unseren Reisen nach Polen zeigen und was ich versuche unseren Gästen verständlich zu machen, das ist ein Polen, das viele Parallelgeschichten zulässt. Das ist vielleicht der Mythos eines Polens, das man haben möchte, aber ein schöner und nützlicher Mythos, der helfen könnte, ein offenes und modernes Polen zu bauen. Dieser Mythos ist in der Vergangenheit verwurzelt; er gehört zu einem Land, das aus vielen Kulturen besteht, das verschiedene Geschichten hat und das viele Sprachen hatte. Aber, diese Vielfalt gibt es eigentlich nicht mehr, obwohl sie dieses Land tief geprägt hat; so versucht man sie zu entdecken und zu rekonstruieren.

Alle gegenwärtign in Polen laufenden spannenden Projekte, sei es an der deutschen Grenze, an der zu Weissrussland oder an der litauisch-polnischen Grenze: Borussia, Pogranicze (dtsch. Grenzland), Brama Grodzka (dtsch. Burgtor), befassen sich eigentlich damit, was verloren gegangen ist, was man daraus lernen kann. Damit, was eigentlich polnische Kultur ausmacht – auch ihre Zukunft. Ohne diese Vielfalt wäre die polnische Kultur undenkbar. Und daher versuchen wir das auf den von uns organisierten Reisen nach Osten zu zeigen. Wir verfolgen diese Projekte auch im ukrainischen Lemberg und in Czernowitz. Dort war die kulturelle Vielfalt besonders gross.

Multikultur im früheren Ostgalizien

Polen.pl: Das sind ja Gebiete, die früher auch zu Polen gehört haben. Aus Polen heraus besteht dorthin eine besondere Beziehung; so war Lemberg früher auch ein polnisches Kulturzentrum.

Katarzyna Leszczyńska: Die komplizierte polnisch-ukrainische Geschichte hat eine spannungsvolle Beziehung zwischen beiden Nationen, aber auch viel höchst Kreatives hervorgebracht. Man muss in die Ukraine reisen und man muss diese Kultur kennen lernen, auch die multikulturelle Vergangenheit und eben nicht nur die polnische. Die polnische, deutsche, jüdische, die armenische Kultur. Das war alles dort. Und noch mehr als dies im Fall von Polen ist, ist es den Westeuropäern nicht bewusst, welch grosser Teil der europäischen Kultur und Wissenschaft von dort kommt. Sie staunen, wenn sie das erfahren.

Vieles in meinem Denken über Polen verdanke ich Maria Janion, der Grande Dame der polnischen Literaturwissenschaft, einer schon älteren Dame, die aber im Geist sehr jung geblieben ist. Sie ist eine der führenden Feministinnen in Polen; aus ihrer Küche kommen diejenigen, die heute auf der politischen Bühne streiten und kämpfen. Sie hat immer über dieses von mir erwähnte Polen gesprochen und geschrieben.

Über das Polen, das aus so vielen Teilchen besteht und das sie dem national-katholischen Patriotismus entgegengestellt hat. Sie hat immer versucht mit diesem Modell zu arbeiten, um zu zeigen, dass es auch eine andere Perspektive des „Blicks zurück“ gibt. Auch für den Blick auf die Romantik, der von nationalistisch denkenden Menschen in Polen so gern genutzt wird.

Polen.pl: Katarzyna, herzlichen Dank für das Gespräch!

Katarzyna Leszczyńska hat auf ihrer deutschsprachigen Homepage unter dem Titel „Polen verstehen“ einen sehr interessanten Einblick in polnische, ukrainische und weissrussische Literatur geschaffen.