Politische Krise in Polen: Entstehung und Verlauf

von Antoni Wladyka

Wie alles begann

Die Parlamentssitzung am Abend des 16. Dezember 2016 sollte die Letzte des Jahres sein. Während der 3. Lesung zum Haushaltsgesetz für das Jahr 2017 ereignete sich jedoch etwas, was die Situation ausarten ließ. Michal Szczerba, Abgeordneter der liberal-konservativen PO (Platforma Obywatelska), welche bis 2015 die Reigerungsgeschäfte führte, betrat das Rednerpult. In der Hand hielt er ein Blatt Papier mit der Aufschrift „Freie Medien“. Nach zweimaliger Ermahnung wurde er vom Sejmvorsitzenden Marek Kuchcinski (PiS) von der Sitzung ausgeschlossen. Das war der Auslöser für das weitere Chaos im und vor dem Parlamentsgebäude an der ulica Wiejska in Warschau. Eine Gruppe der Mitglieder der PO und N. (Nowoczesna) umzingelte das Rednerpult und schließlich auch den Sitz des Sejmvorsitzenden. Die Sitzung musste unterbrochen werden. Die Forderung der Besetzer war klar – die verhängte Strafe für Michal Szczerba solle zurückgenommen werden. Dazu kam es natürlich nicht, sonst würden Sie die folgenden Sätze nicht lesen.

Warum diese Provokation?

Am 14. Dezember verlautete die Kanzlei des Sejm, dass die Regelungen für die Medienvertreter im Sejmgebäude geändert würden. Die Opposition sah darin einen Eingriff in die Bewegungsfreiheit der Presse auf dem Sejmgelände und kündigte heftige Gegenwehr zu Gunsten der Medienvertreter an. Die Schrift der Kanzlei verkündete unter anderem, dass in den Plenarsaal nur zwei Vertreter eines Mediums eingelassen werden sollten und dass die Sitzungen der Sonderkomissionen des Parlaments nicht mehr gefilmt oder mit Ton aufgenommen werden dürften. Daraufhin haben zahlreiche Medienvertreter keine Live-Interviews mehr mit den Abgeordneten durchgeführt. Ergänzend sei noch gesagt, dass am 13. Dezember der Jahrestag der Verhängung des Kriegsrechts in Polen stattfand. Die Streitigkeiten zwischen der Regierungspartei und den Oppositionsparteien mussten offenbar irgendwann mit einem lauten Knall enden: Am 16. Dezember 2016 war der Kulminationspunkt erreicht.

Trotz Besetzung ging die Abstimmung weiter

Trotz zahlreicher Schlichtungsversuche von beiden Seiten blieb es beim Eklat. Marek Kuchcinski ordnete daraufhin an, dass die letzte Abstimmung in einem anderen Raum durchgeführt wird. Es wurde jedoch etwas unglücklich derjenige Raum ausgewählt, in welchem vorab eine Arbeitssitzung der Partei PiS abgehalten wurde. Die Abgeordneten wurden per SMS über die Verlegung informiert. Allerdings wurde ihnen der Eintritt durch die Sicherheitsleute des Parlaments erschwert. Dazu gibt es einige Videos auf Youtube. Am besten man schaut Sie sich an und bildet sich eine eigene Meinung zu diesen Beschuldigungen der Opposition. Zu erkennen ist evident, dass die Türen zum Abstimmungsraum nicht offen standen.

Illegale (?) Abstimmung über den Haushalt

Die Opposition beharrt bis zum heutigen Tage darauf, dass die Abstimmung in dem neuen Raum unrechtmäßig zustande gekommen ist. Sie beanstandet, dass die Mindestanzahl der Abgeordneten, die nötig ist, um Gesetzesabstimmungen durchführen zu können, nicht gegeben war. Zum anderen seien keine Einwände zugelassen worden. Die regierende PiS hingegen sieht in den Beschuldigungen leere Worte und hat selbstsicher das ordnungsgemäße Zustandekommen des Haushaltsplanes für 2017 verkündet. Das wurde bei der Sitzung am 11. Januar 2017 bestätigt. Obwohl die Opposition an diesem Tage die Besetzung des Plenarsaals beendete, hat sie immer noch keinen legal zustandegekommenen Haushaltsbeschluß anerkannt. Warum demonstriert die Opposition dann nicht weiter? Welchen Sinn hatte es, über 3 Wochen den Saal zu besetzen, um im entscheidenden Moment das Feld zu räumen? Vielleicht fürchtet sich die Opposition mehr als die regierende PiS?

Nachfolgend kann man sich die komplette Sitzung auf einem Video anschauen

Aber was hat das alles mit dem Verfassungsgerichtshof zu tun? Nichts. Der Vorsitzende Rzeplinski beendete seine Amtszeit am 19. Dezember und bei all dem Trubel schienen die Oppositionsmitglieder diese Tatsache irgendwie vergessen zu haben. Denn die damit zusammenhängenden Veränderungen wurden nicht mehr angesprochen. Vielleicht hat die Opposition zu viel um die Ohren?

Ein Chaos folgt dem Nächsten

Die Opposition war nach der Besetzung des Plenarsaals nicht wirklich vorbereitet auf das weitere Geschehen. Die Politiker luden immer wieder Videos hoch, doch wurde dort nicht wirklich etwas Interessantes verkündet. Später wurde Ryszard Petru, der Vorsitzende der Partei Nowoczesna, im Flugzeug nach Portugal gesichtet, obwohl er lautstark verkündete, dass er mit den anderen im Sejm ausharren wird. Oppositionsmitglieder sprachen von einer vereinten Opposition, doch ähnelte diese mehr einer Zweckgemeinschaft ohne glaubwürdigen Unterbau.

Die Regierungsmitglieder und vor allem Jaroslaw Kaczynski benutzten wiederrum Wortfetzen, die keinen wirklichen Sinn ergaben. Herr Kaczynski sprach nach Weihnachten sogar von einem „Putschversuch“ während die Opposition von Zuständen wie 1981 (Verhängung des Kriegsrechts) berichtete. Den Gedankengängen der Politiker lässt sich sowieso nur sehr schwer folgen, doch erleichtert man es seinen Wählern nicht, wenn dazu noch eine Terminologie ohne feste Definition benutzt wird. Doch die PiS-Politiker wissen was sie tun, denn das Herz des Polen wollen sie erreichen und nicht seinen Verstand. Und eines kann ich nur bestätigen – in politischen wie geschichtlichen Diskussionen spielen Emotionen hier zum Teil eine grössere Rolle als Fakten und kaltblütiges Kalkül.

Die Chance nicht genutzt

Die polnische Politik befindet sich momentan in einer Sackgasse, in welche sie sich selber reingeritten hat. Von niemandem bedrängt und ausgestattet mit Möglichkeiten, welche Politikern dieses Landes seit über 200 Jahren nicht zur Verfügung standen, vergeudet man die Chance den Bewohnern des Landes ein friedvolles und würdevolles Leben zu organisieren. 1981 konnte man die Verantwortung für das Unglück auf andere übertragen. Heute ist für alles, was in Polen passiert, nur Polen verantwortlich. Dazu zählt nicht nur die Politik, sondern auch das Volk. Lech Walesa hat seine Rede im amerikanischen Kongress mit „We the people“ begonnen. Alle Macht und Verantwortung geht vom Volke aus. Es bietet sich also an, mal genauer hinzuschauen und an den nächsten Wahlen teilzunehmen, sonst regiert eine Partei mit 37,58 Prozent von 50,92 Prozent der Stimmen im Alleingang.

Ich möchte meinen Beitrag mit einem Witz beenden, weil es in der polnischen Politik sonst nicht viel zu lachen gibt.

Frage: Warum ist der Sejm rund? Gegenfrage: Haben Sie schon mal ein quadratisches Theater gesehen?