Deutschland Roadstory. Oder: Hin und Zurück

Der Sommer ist eine Jahreszeit der Reisen. Ferien, Urlaub, Hochzeiten, Familienfeiern. Und Alumnitreffen natürlich, wie jenes der EuPoDs* in Kiel. Ich bin ein EuPoD, ich habe eine Einladung bekommen. Und ein Deutschlandticket habe ich auch. Von Hessen nach Schleswig-Holstein mit nur sieben Umstiegen? Warum nicht!?

Kommen Sie mit?

Auf geht’s

Jede noch so lange Reise beginnt bekanntlich mit dem ersten Schritt. Meine ersten Schritte führten mich zum Bahnhof in hessischem Groß-Gerau. Es war eine reine Vorsichtsmaßnahme, die einer erwarteten Verspätung des Zuges in meinem Heimatort vorbeugen sollte. Vergeblich.

Doch zum Glück (im Unglück) sind die Verspätungen bei der DB oft komplementär, das heißt: Sie heben sich häufig gegenseitig auf. So war es auch in meinem Fall. Der Zug nach Frankfurt hatte zwar 20 Minuten Verspätung. Aber jener ab Frankfurt ganze 40. So hatte ich nicht nur genügend Zeit um gemächlich und stressfrei die Gleise zu wechseln. Ich konnte darüber hinaus zwei Tickets für das kommende Polonia-Sommerfest in Frankfurt in einem befreundeten Bahnhofscafé für eine Freundin hinterlegen. Wenn Sie mal am Frankfurter Bahnhof sind und die DB Ihnen unverhofft Zeit verschafft, gehen Sie mal ins Uddin’s. Ist ein guter Laden.

Göttingen

Die Fahrt nach Göttingen war interessant. Ich saß neben einem Bahnmitarbeiter, der nach seiner Schicht nach Hause fuhr. Er saß zu meiner Linken und die einzig funktionierende Zugtoilette befand sich zu meiner Rechten. Als ich sie dann irgendwann nutzen wollte, riet er mir davon ab. Drei Obdachlose hätten sich schon darin gewaschen und sie wurde seitdem nicht geputzt. Während unseres Gesprächs ging ein vierter hinein und benutzte ein Taschentuch um die Türklinke zu betätigen. Ich blickte zu meinem Sitznachbarn. Er zuckte mit den Schultern und meinte: „Sie haben sicher mitbekommen, dass wir am kommenden Dienstag streiken wollen. Dabei soll es auch um so etwas gehen.“.

Unter dem “so etwas” verstand ich den Reisekomfort.

Uelzen

Wissen Sie weshalb es in Deutschland so wenige Züge mit Abteilen gibt? Ganz einfach, sonst säße in jedem Zugabteil jeweils nur eine reisende Person. Habe ich jedenfalls mal aufgeschnappt. Nun, ich persönlich mache mir nicht viel aus solchen Klischees und scheue auch nicht davor zurück, an einem Vierersitz Platz zu nehmen. Ich rege mich ferner nicht auf, wenn sich dann auch jemand dazusetzt. Im Gegenteil. Auf dem Weg nach Uelzen beehrte mich eine kleine Familie (Mutter mit zwei Kindern) und wir kamen ins Gespräch. Der Anfang war holprig, und zwar meinetwegen. Ich mag es nicht, wenn junge Erwachsene mich siezen. Werde aber schnell patzig, wenn ein Zwölfjähriger mich duzt. Doch wie gewöhnlich ist es nicht das Ereignis an sich, das uns aufregt, sondern dessen Auslegung. Als ich erfuhr, dass die drei erst seit kurzem in Deutschland sind, entspannten sich meine bis dato zusammengezogenen Augenbrauen wieder. Wir plauderten so gut es ging über alles und nichts und ich erfuhr, dass man Rhabarber auch mit Salz essen kann. Tja, man lernt nie aus.

Hallo Kiel

In Kiel angekommen war ich im Begriff, die Bahnhofshalle zu verlassen, als mir eine alte Ehrenschuld einfiel. Vor Jahren hat der Inhaber des dortigen Imbiss-Standes Sultan´s einem armen, hungrigen Studenten einen Döner ausgegeben. Mittlerweile bin ich kein Student mehr (über das andere ließe sich sicher reden) und werfe deshalb jedes mal 50 Cent in die Kaffeekasse ein, wenn ich in Kiel lande. Nur noch vier Besuche und wir müssten quitt sein. Jedenfalls meinen Berechnungen zufolge.

Drei Schritte weiter stand ich bereits vor dem Seiteneingang des Kieler Hauptbahnhofs. Ich holte tief Luft. 16 Grad, Regen und Sturmböen. Der Sommer im Norden – wie habe ich ihn vermisst!

*EuPoD

Treffen in Kiel. Tomasz Lis, Ania Smarzyk, Jessica und Bogumil

Wir suchen uns nicht aus in welche Familie wir eingeboren werden oder an welchem Ort wir zur Welt kommen. Aber ab einem bestimmten Zeitpunkt hängt es nur von uns selbst ab, mit welchen Menschen wir uns umgeben und in welchem Umfeld wir leben. Nun, über Kiel ließe sich an der einen oder anderen Stelle meckern. Nicht aber über den Studiengang Polen und Deutsche in Europa und seine Dozenten. Von den Mitstudierenden ganz zu schweigen. Bei einer Freundin angekommen musste ich einmal mehr feststellen, dass wir jedes Gespräch so führen, als hätten wir uns erst gestern getrennt. Auch wenn in Wirklichkeit Jahre dazwischen liegen. Ein größeres (und passenderes) Kompliment fällt mir nicht ein. Ania, Jessi, Kasia, Jagoda und Tabea – ich danke Euch für diese Zeit. Die vergangene, die gegenwärtige und die, die noch kommt.

Entschuldigt mich kurz, irgendwie verschwimmt mein Bildschirm gerade ein wenig.

Alumnitreffen

Kein Alumnitreffen ohne die entsprechenden Reden, die obligatorischen Danksagungen und einen Hauch von Selbstbeweihräucherung. Nicht aber wenn Professor Michael Düring das Wort ergreift. Er kann (und konnte schon immer) jede, noch so langweilig anmutende Ansprache zu einem Highlight machen. Inhalt, Tiefgang, Comedy und KI(!). Alles war dabei. Bei der Rede von Dr. Tomasz Lis kamen noch Gefühle hinzu, die uns abermals verdeutlichten, dass er in uns viel mehr als nur seine (ehemaligen) Studenten sieht.

Der Vortrag von Dr. Andrzej Kaluza vom Deutschen Polen-Institut in Darmstadt hat hingegen nicht nur den Rang unseres Treffens erhöht. Nebst einer Expertenmeinung zum aktuellen Stand der deutsch-polnischen Beziehungen, hat er auch für eine Erkenntnis gesorgt, die ich mir in meinem Gedächtnis rot angestrichen habe. Deutschland müsse lernen mit immer weniger Ressourcen immer mehr Menschen zu versorgen. Ein Gedanke, dem ein universeller Charakter innewohnt.

Dirk

Auf dem Heimweg lernte ich bei einer unverhofften Pause (Zugausfall) einen Leidensgenossen kennen – nennen wir ihn mal Dirk – der zusammen mit mir und gut einem Dutzend weiterer Fahrgäste in Warburg bei Kassel gestrandet war.

Er berichtete über die Städte, die er während seiner Sommerreise durch Deutschland und die Anrainerstaaten jüngst abgeklappert hat. Darunter Basel (“Gut, aber teuer“) und Swinemünde (“Hammer! Ganz anders als man sich den Osten vorstellt“). Wir tauschten uns daraufhin über unsere Lieblingsstrände an der Ostsee aus und sinnierten über die Zukunft der Republik. Als Inspiration dienten uns die aktuellen Wahlumfragen und zwei Weizen, die mein Gesprächspartner aus der Kühltasche seines Wanderrucksacks hervorzauberte (Sachen gibt’s…). Wir verabschiedeten uns in Wilhelmshöhe mit der obligatorischen Bruderfaust und versprachen uns in Bezug auf die Weiterreise gegenseitig die Daumen zu drücken. Das hat zwar wenig genutzt, aber schön wars trotzdem.

Fazit

Na ja, so ganz wirkungslos blieb das gegenseitige Daumendrücken eben doch nicht. Schließlich verlief meine Reise fortan relativ ereignislos. Von weiteren kaputten Toiletten, hoffnungslos überfüllten Zügen und einem Halt mitten im Nichts in der Nähe von Gießen mal abgesehen.

Das kleine Abenteuer, das ich dem Alumnitreffen und dem Deutschlandticket verdanke, wird mich aber noch eine Zeit lang begleiten. Währenddessen erlebte ich Menschen, die kaum Deutsch sprachen und dennoch ohne zu zögern einer Mutter mit einem Kleinkind den Platz frei machten. Ich erlebte auch Menschen, die sehr wohl Deutsch sprachen (und darüber hinaus Anzüge trugen), die aber auf eine höfliche Bitte ihr Fahrrad aus dem Weg zu räumen mit einem beherzten “Lecken sie mich am Arsch” antworteten.

Alles in allem ein Haufen interessanter Erfahrungen. Wobei ich zugeben muss, dass ich auf einen Teil davon gerne verzichtet hätte.