Schwarzer Freitag in Warschau – Abtreibungsgesetz führt zur Massenprotesten

Von Gastautor Jerzy Sobotta

Es dämmert schon, als der schwarze Strom die Warschauer Innenstadt überflutet. Zehntausende marschieren zur Zentrale der polnischen Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS), um gegen eine Verschärfung des Abtreibungsgesetztes zu protestieren. Als die Frauen an der Spitze der Demonstration ihr Ziel erreichen, ist alles schwarz um sie herum: der Himmel, ihre Kleider, die Fahnen über ihren Köpfen. Zum „schwarzen Freitag“ sind allein in der Hauptstadt rund 55.000 Menschen auf die Straße gegangen. Dazu tausende in Krakau, Danzig, Posen und in gut zwanzig anderen Städten im Land. Sie alle fürchten, dass die Regierung schon bald ein Gesetz verabschieden könnte, das die Abtreibung weiter einschränkt. Die Kirche macht Druck und fordert von der Pis schnelle Ergebnisse. Doch mit den Massenprotesten vom Freitag ist die Regierung in eine kniffelige Lage geraten. Denn nun muss sie lavieren – zwischen radikalen Katholiken auf der einen und den Gegnern der Verschärfung auf der anderen Seite, mit denen die Mitte der Gesellschaft sympathisiert.

Frauenprotest gegen ein schärferes Abtreibungsrecht Foto: Jerzy Sobotta
Frauenprotest gegen ein schärferes Abtreibungsrecht Foto: Jerzy Sobotta

Polnisches Abtreibungsgesetz bereits sehr streng

Dabei ist das polnische Abtreibungsgesetz ohnehin eines der strengsten in Europa. Eine Frau kann ihre Schwangerschaft nur in drei Fällen abbrechen: Wenn ihre Gesundheit oder ihr Leben in Gefahr ist, sie durch Vergewaltigung schwanger geworden ist oder der Fötus eine schwere Behinderung oder Deformation aufweist. Tritt die Novelle in Kraft, fällt der letzte Punkt weg. Frauen müssten auch dann ihr Kind austragen, wenn ihr Neugeborenes schwerstbehindert ist oder direkt nach der Geburt stirbt. Für Frauenrechtsaktivisten ein kaum vorstellbares Horrorszenario. Für die Kirche und den rechten Flügel der PiS ein christliches Gebot zur Verteidigung des Lebens.

Die umstrittene Gesetzesänderung wurde Ende letzten Jahres vom Verein „Familie und Leben“ in den Sejm eingebracht, nachdem die Abtreibungsgegner über 820.000 Unterschriften gesammelt hatten. Nach der ersten Lesung wurde die Novelle an den Familienausschuss weitergeleitet, der zusätzlich die Meinung des Menschenrechtsausschusses einholen sollte. Doch es wurde ruhig um das Gesetz. Die PiS schien kein Interesse daran zu haben, das kontroverse Thema auf die Tagesordnung zu bringen.

Frauenrechtlerinnen mobilisieren

Außerdem ist spätestens seit dem Herbst 2016 klar, welche Mobilisierungskraft die Frauenrechtsaktivistinnen haben. Damals drohte ein völliges Abtreibungsverbot, gegen das im ganzen Land fast 100.000 Menschen auf die Straßen gingen. Die Größe des Ereignisses erstaunte selbst die Demonstranten. Erst hatte sich der Aufruf zum „schwarzen Protest“ in den sozialen Medien verbreitet, danach die Bilder in der internationalen Presse. Doch das Besondere war, dass die Menschen erstmals auch in kleineren Ortschaften demonstrierten – auch in solchen, in denen die PiS die Mehrheit stellte.

Die Demonstration am schwarzen Freitag in Warschau gegen die Änderung des Abtreibungsrechts Foto: Jerzy Sobota
Die Demonstration am schwarzen Freitag in Warschau gegen die Änderung des Abtreibungsrechts Foto: Jerzy Sobotta

Damals schreckte die Regierungspartei vor dem Protest zurück, aber auch vor der Radikalität des Gesetzes. Er sah nicht nur ein vollständiges Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen vor, sondern drohte Frauen und Ärzten mit Gefängnisstrafen. Das ging selbst Parteichef Kaczyński zu weit. „Das verstößt gegen mein Gewissen“, sagte er einige Tage nachdem die Pis letztlich doch gegen das Gesetzt gestimmt hatte. „Aber wir werden uns weiterhin dafür einsetzen, dass auch schwere Schwangerschaften, in denen das Kind absehbar sterben wird, oder stark deformiert ist, mit der Geburt enden. Damit das Kind getauft und begraben werden kann, damit es einen Namen hat.“ Allerdings wolle man warten, bis sich die Sache in der Öffentlichkeit gelegt hat.

Sejmausschuss zögerte

Die neue Initiative liegt jetzt schon seit zwei Monaten im Sejm. Vielleicht hätte die PiS auch noch mehr Zeit verstreichen lassen, wenn die katholische Kirche sich nicht eingeschaltet hätte. Mitte März forderte die polnische Bischofskonferenz eine schnellere Bearbeitung. Die Antwort kam prompt. Nur fünf Tage später gab der Sejm-Ausschuss für Menschenrechte grünes Licht. Auf seine Zustimmung hatte der Familienausschuss warten müssen. Aus Angst, dass es jetzt schnell gehen könnte, riefen Frauenrechtsaktivisten Anfang letzte Woche zur der großen Demonstration auf.
Dass das Thema Abtreibung nun erneut auf der Tagesordnung ist, kommt der Pis nicht gerade gelegen. Die Gegner der Verschärfung haben am Freitag bei den Protesten erneut gezeigt, wie viele Menschen sie innerhalb kürzester Zeit mobilisieren können. Auch ist die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung gegen eine Verschärfung der Abtreibungsparagraphen. In einer Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Ipsos wollten letztes Jahr nur 8 Prozent der Polen ein Verbot von Abtreibung. Eine Liberalisierung forderten hingegen 42 Prozent der Befragten, während 45 Prozent den Status quo beibehalten wollten. Ein Dilemma für die Regierungspartei: Ein halbes Jahr vor den wichtigen Kommunalwahlen kann die PiS nicht die Gunst der Mitte verspielen, indem sie eine so eindeutige Stimmung in der Bevölkerung ignoriert. Andererseits hat sie in der Kirche einen ihrer wichtigsten Verbündeten. Und die ist ein glühender Verfechter der Verschärfung und will möglichst bald Ergebnisse sehen.

Gibt es einen Kompromiss?

Noch ist unklar, wie Kaczyński aus der Schlinge herauskommt, die er sich selbst um den Hals gelegt hat. Am 14. April findet die nächste Sitzung des Familienausschusses statt. Die PiS könnte Kompromisse vorschlagen, denn es geht ihr um die Wahl. Die Frauen mit der schwarzen Schminke auf den Wangen werden von ihrer Position hingegen kaum abrücken, sie sind entschlossen. Denn ihnen geht es um ihre Körper.