Warschau – Die U-Bahn wird zum Kreuz

U-Bahnbau in der Warschauer Innenstadt (c) Polenpl.eu

Um die wachsenden Verkehrsströme zu bewältigen baut Warschau mit einem finanziellen Kraftakt in Milliardenhöhe unter der Weichsel hindurch eine zweite U-Bahnlinie quer durch die Stadt. Nachdem der Bau der ersten Linie ein Vierteljahrhundert gedauert hat, soll der erste Abschnitt der zweiten Linie bereits fünf Jahre nach Baubeginn Mitte 2014 den Warschauern übergeben werden. Und um seinem Ruf als Boom Town gerecht zu werden, bereiten die Planer schon die nächsten Ausbauten vor.

Erste U-Bahnlinie seit fünf Jahren vollständig im Betrieb

Die Warschauer Metro ist Polens einzige U-Bahn und besteht aus einer Line, die parallel zur Weichsel in Nord-Süd-Richtung verläuft. In kaum vierzig Minuten können die Warschauer so ihre Hauptstadt queren. Im vergangenen Jahr benutzten werktags eine gute halbe Million Hauptstädter ihre Metro.

Die Metro wird von der Warschauer U-Bahn GmbH (Metro Warszawskie Sp. z o.o.) betrieben, die gleichzeitig auch Bauherrin für ihre Erweiterung ist und sich im Besitz der Polnischen Hauptstadt befindet. Ihre Betriebsmittel erhält die Gesellschaft über den städtischen Regiebetrieb “Stadtverkehrsverwaltung” (Zarząd Transportu Miejskiego w Warszawie, ZTM).

Die während eines Vierteljahrhunderts bis 2008 gebaute U-Bahnlinie wird gegenwärtig um eine zweite Linie erweitert, so dass sie künftig in ihrem zentralen Teil von einer neuen, in Ost-West-Richtung verlaufenden Linie gekreuzt wird.

Das Kreuz entsteht – die neue U-Bahnlinie 2

Die neue U-Bahnlinie 2  wird eine Länge von rund 23 km aufweisen. Für den Bau wird die Linie in die drei Abschnitte West (9.3 km), Mitte (6.3 km) und Nordost (7.1 km) unterteilt. In ihrem Verlauf sind 21 Bahnhöfe vorgesehen: Acht auf dem westlichen Abschnitt, sieben im mittleren und sechs auf dem nordöstlichen Abschnitt.

Von der Stadtverwaltung beauftragte Gutachter gehen davon aus, dass 2018 während der morgendlichen Spitzenstunde auf der neuen Linie rund 15 000 Reisende vom rechten Weichselufer kommend in die Innenstadt unterwegs sein werden. Aber auch nach dem Bau der neuen U-Bahnlinie wird in Warschau der Hauptträger des öffentlichen Stadtverkehrs der Bus sein; er wird dann etwa gleich viel Fahrgäste transportieren, wie Straßenbahn und U-Bahn zusammen.

Die Linie 2 verläuft von der westlichen Stadtgrenze über die Warschauer Stadtteile Bemowo und Wola in das Stadtzentrum. In der Nähe des Kulturpalastes kreuzt sie beim bestehenden U-Bahnhof Świętokrzyska die Linie 1 und führt über 600m unter der Weichsel hindurch in den Stadtteil Praga. Dort entsteht beim neuen Nationalstadion der Verzweigungsbahnhof “Stadion”. Von ihm aus teilt sich die Linie dann in einen Nordabschnitt zur Wohnsiedlung Bródno und in einen Südostabschnitt mit sechs Stationen nach Gocław, das im südlichen Stadtteil Praga gelegen ist. Der Südostabschnitt, früher als Linie 3 geplant und vorerst nicht zur Realisierung vorgesehen, soll sechs Stationen erhalten, der Nordabschnitt sieben. Für die neue Linie werden an ihrem späteren westlichen Ende sowie östlich des Stadions je eine rund 20 ha große Abstell- und Unterhaltsanlage gebaut. Baubeschreibungen und Gutachen zum Bau der Linie 2 veröffentlicht im Original der Verein für Integration des Hauptstädtischen Verkehrs SISKOM auf seiner Seite.

Internationale Beteiligung an Finanzierung und Bau der Linie 2

Der Vertrag für die Projektierung und den Bau des Abschnitts Mitte wurde vor drei Jahren unterzeichnet. Für einen Betrag von knapp einer Milliarde Euro wird das italienisch-türkisch-polnische Konsortium AGP Metro Polska S.C.  das Bauwerk erstellen.

Die Erweiterung der U-Bahn stellt mit dieser hohen Investitionssumme in Polen die größte Investition einer städtischen Selbstverwaltung dar. Die EU finanziert den Bau rund zur Hälfte aus Mitteln des EU-Kohäsionsfonds im Rahmen des Operationsprogramms „Infrastruktur und Umwelt“. Die EU-Fördersumme ) beträgt rund 675 Mio. Euro bei einer gesamten Investition von 1.44 Mrd. Euro. Von dieser Summe sind rund eine Milliarde Euro für die Projektierung und den Bau des Abschnitts Mitte gedacht. Die verbleibenden Finanzmittel sind für den Kauf von 35 Zügen der Firma Siemens, den Ausbau der bestehenden Abstell- und Unterhaltsanlage sowie für die Projektierung weiterer Abschnitte der Linie 2 vorgesehen. Die Gazeta Wyborcza hat in ihrer Ausgabe vom 19.9.2012 erste Bilder dieses Zuges , der an der Eisenbahnmesse Innotrans in Berlin ausgestellt war, veröffentlicht. Die Tageszeitung Gazeta Wyborcza berichtet auf ihren Warschau-Seiten regelmässig über den Fortgang der Arbeiten.

Der Bau des ersten Abschnitts der Linie 2

Der erste in Angriff genommene Abschnitt Mitte reicht von der Warschauer Innenstadt beim Daszyński-Kreisel (Rondo Daszyńskiego) bis zum auf der rechten Weichselseite gelegenen Wilnaer Bahnhof (Dworzec Wiliński). Dort werden voraussichtlich bis Ende 2013 sieben Bahnhöfe gebaut sowie zwei parallele Tunnel über eine Länge von gut fünf Kilometern vorgetrieben. Die Warschauer werden die neue Linie ab Sommer 2014 benutzen können.

Die Bahntunnel werden mit großen Spezialmaschinen gebohrt, die auch im schwierigen Untergrund Warschaus im Schnitt täglich rund 25 m Vortrieb ermöglichen. Vor einigen Wochen erreichte die Maschine sogar eine Tagesleistung von 43 m, was einen Rekord darstellte. Die kreisförmigen Tunnel werden einen Querschnitt von gut fünf Metern besitzen und mindestens ebenso tief unter der Erdoberfläche liegen. Damit die beiden Einspur-Tunnelröhren, die in einem Abstand von 13 m verlaufen, unter der Weichsel hindurch geführt werden können, müssen sie von der Hochfläche der Innenstadt vor der Geländekante in Richtung Weichseltal mehr als sieben Stockwerke tief in den Boden versenkt werden. Entsprechend tief liegen dann auch die nahe der Weichsel gelegenen Bahnhöfe Nowy Świat und Powiśle.

Beim Bau des direkt an der Weichsel gelegenen Bahnhofs Powiśle kam es, wie die Gazeta Wyborcza am 14.8.2012 berichtete, Mitte August zu einem schwerwiegenden Zwischenfall. Als die beiden noch durch die Wände des Straßentunnels an der Weichsel getrennten Hälften des Bahnhofs unter dem Tunnel vereinigt werden sollten, brach unter Druck stehendes Wasser und Schlamm in den im Rohbau befindlichen östlichen Teil des Bahnhofs ein. Dieser musste zur Stabilisierung des Bauwerks vollständig geflutet werden. Der über der Bahnhofsbaustelle liegende Tunnel der Weichselschnellstraße wurde geschlossen, da sich unter ihm ein 11 m tiefer Trichter gebildet hatte und Einsturzgefahr bestand. Die Auswirkungen der Sperrung dieser zentralen Nord-Süd-Straße waren in ganz Warschau mit Staus unangenehm spürbar. Vor wenigen Tagen wurde das Auffüllen des entstandenen Lochs mit 5000 m3 Beton abgeschlossen, die Öffnung der Weichselschnellstraße wird aber noch einige Zeit auf sich warten lassen, da erst noch weitere Sicherheitsprüfungen durchgeführt werden müssen. Daher wurde anfangs September eine provisorische Umfahrungsstraße an der Weichsel entlang gebaut. Gemäß dem Metro-Pressesprecher kann frühestens in der zweiten Novemberhälfte mit einer Freigabe des Straßentunnels gerechnet werden.

Die Baufirmen werden die beiden Tunnelbohrmaschinen nun nicht wie vorgesehen vom Bahnhof Powiśle aus nach Praga unterirdisch auf die andere Seite der Weichsel schicken, was für Anfang des nächsten Jahres vorgesehen war. Stattdessen werden die Maschinen, die nach Abschluss ihrer letzten Aufgabe jetzt am Rondo ONZ gewartet und auseinander genommen werden, von der rechten Weichselseite aus Praga in die umgekehrte Richtung bohren. So können die sich aus dem Wassereinbruch ergebenden Verzögerungen minimiert werden.

Alle anderen Bahnhöfe werden in einer offenen Baugrube mit Spundwänden sowie mit Deckenabschlüssen ausgeführt. Damit ähnelt die Bautechnik dem Vorgehen beim U-Bahnbau in Berlin, da beide Städte im gleichen Urstromtal liegen und damit ähnliche geologische Bedingungen herrschen. Die Baugruben der Bahnhöfe sind gegenwärtig im Stadtbild zu sehen und behindern vielerorts den Verkehr.

Vom westlichen Ende des Bauabschnitts am Daszyński-Kreisel bis zur ersten gut einen Kilometer östlich davon gelegenen Bahnhof Rondo ONZ sind die Tunnelbohrarbeiten abgeschlossen und es beginnt in Kürze der Einbau der Schienen.

Die nächsten Bauabschnitte

Die Verkehrsverwaltung Warschaus hat auf der Grundlage eines Gutachtens zur wirtschaftlichen Bewertung verschiedener Varianten der Verlängerung des Abschnitts Mitte  entschieden, dass nach Vollendung des Abschnitts Mitte an jedem seiner beiden Enden weitere drei Bahnhöfe mit den Tunneln gebaut werden sollen. Vor kurzem wurde dazu ein Wettbewerb abgeschlossen, mit dem die Projektierungs- und Architekturbüros für die Bahnhöfe bestimmt wurden. Wie die Gazeta Wyborcza am 22.9.2012 berichtete, werden die Stationen und die Tunnel auf der rechten Weichselseite vom internationalen österreichischen Büro ILF Consulting Engineers Polska geplant. Das selbe Büro hatte bereits im Auftrag des italienisch-türkisch-polnischen Konsortiums den mittleren Abschnitt der Linie 2 projektiert. Auf der westlichen Seite der Metrolinie wird das aus dem hauptstädtischen Tiefbau-Projektierungsbüro hervorgegangene Warschauer Unternehmen Metroprojekt planen. Dieses hatte damals den grössten Teil der Linie 1 projektiert. Die Genehmigungsplanung muss bis zum Oktober des nächsten Jahres bereit sein; die Ausführungsplanung bis Januar 2014.

Für den Bau dieser nächsten Etappe werden die Baukosten sowie die Investitionen in neue Züge auf mindestens 700 Mio. Euro geschätzt. Die Vertreter der Stadtverwaltung zählen darauf, dass erneut EU-Gelder den Bau unterstützen werden. Allerdings wird man das EU-Budget für die Jahre 2014 bis 200 erst in einigen Monaten kennen und erst bei entsprechender Mittelzuweisung wird man die bauausführenden Firmen zu suchen beginnen. Auf den nächsten Erweiterungsabschnitten in den Stadtteil Targówek bzw. nach Wola wird die U-Bahn also frühestens im Jahr 2016 oder 2017 fahren.